Höhere Mächte sind auch keine Erlösung. Zur Konjunktur des Glaubens an „höhere Mächte“ in Zeiten der Krise.
Vortrag von Lothar Galow-Bergemann
gehalten am 29. Februar 2016 in Hamburg
Was verbindet so unterschiedliche Leute wie die
reinkarnationsgläubige Waldorflehrerin, den selbstbewussten Kämpfer
gegen gierige Bankster, die esoterisch angehauchte Bioladendauerkundin,
den missionarischen Salafisten, die treue Kirchgängerin, den
sonnwendfeiernden Neonazi, die eifrige Streiterin wider die
Weltverschwörung der Bilderberg-Konferenz, den homophoben Rastafarian,
die aus ihrem Krafttier Energie schöpfende Schamanin, den spirituelle
Erlösung suchenden Insassen einer Yoga-Lebensgemeinschaft, den
Hirtenworte verkündenden Bischof und die einer Verdünnung von 1:1 000
000 000 000 000 000 000 000 vertrauende grüne Stadtverordnete, die sich
für eine kritische Verbraucherin hält?
Es ist der Glaube, ihr Wohl und Wehe hinge vom Walten höherer Mächte
ab. Die einen verehren sie, die anderen fürchten sie. Die einen werfen
sich ihnen wacker entgegen, die andern unterwerfen sich ihnen lustvoll.
Die einen sind sanftmütig, die andern kochen vor Wut. Die einen sind
religiös, die anderen atheistisch, die einen unpolitisch, die anderen
hochpolitisch, die einen rechts, die anderen links. Und doch verbindet
sie mehr als sie trennt: Der Hang zu einfachen Antworten auf
komplizierte Fragen, das wohlige Gefühl, zur Gemeinschaft der
Erleuchteten zu gehören und eine ausgeprägte Kritikresistenz.
Zeiten, in denen sich der krisenhafte Zustand der Welt
herumgesprochen hat und Unsicherheit und Zukunftsängste um sich greifen,
sind gute Zeiten für einfache Botschaften. Wo sich Demut statt
Vernunft, Wut statt Kritik und Glauben-wollen statt Wissen-wollen
durchsetzen, herrschen Denkfaulheit, Regression und Irrationalität. Doch
nicht genug: Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen ist immer auch die
nach starken Führern, die heutzutage gerne auch mal Führerinnen sein
dürfen, wenn sie nur Halt und Orientierung versprechen.
Was muss emanzipatorische Kritik leisten, die sich weder mit der
kapitalistischen Krise noch mit ihrer regressiven Verarbeitung in den
Köpfen abfinden will und die am Ideal einer Gesellschaft freier Menschen
in freien Vereinbarungen festhält?